Die Brille

Schon wieder Freitag. Wie doch die Zeit vergeht. Kaum hat man sich an die sommerliche Hitze gewöhnt, werden die Tage auch schon wieder kürzer. Auch die Beschwernisse des Alters schleichen sich langsam ein.

Da gehörst du in Gedanken immer noch zu den Jugendlichen, und schon ist es passiert und du fällst aus der Hauptzielgruppe der Werbeindustrie heraus. Natürlich darfst du auch über vierzig noch Werbung ansehen, gemacht ist sie dann aber eben nicht mehr für dich.

Und da muss man dann ein paar Jahre rumbiegen, bis man endlich wieder als „Golden Ager“ in die nächste, die letzte Zielgruppe der Werber fällt. Langzeitreisen über den Winter sind da dabei, allerlei Computer-Zeug und im Finish dann der fesche Rollator und der Treppenlift, bevor der Löffel endgültig eingesammelt wird.

Ein kleiner Indikator dafür, in welche Werbe-Zielgruppe man fällt, ist auch das Sehvermögen. Es gibt ja Länder in Asien und Afrika, wo sich die Leute denken, dass man vom Lesen schlechte Augen bekommt, ergo sehr gebildete Leute immer Brille tragen. So wird dort dann auch der Kehrschluss gezogen, dass ein Brillenträger automatisch zum Professor mutiert.

Bei uns ist die Brille eine Alltäglichkeit. Sieht man Dinge in einiger Entfernung nur mehr unzureichend, gibt es eine fesche Brille mit Gläsern für Kurzsichtige und fertig.

Dann aber, wenn man langsam aus der Hauptzielgruppe der Werbewirtschaft herausfällt, ist es häufig so, dass man eine gewisse Freude darüber entwickelt, dass man Dinge aus größerer Distanz super sieht. Das ist allerdings gepaart damit, dass es einem nicht mehr gelingen will, die Zeitung so weit weg zu halten, dass die Buchstaben darauf einen lesbaren Sinn ergeben.

Anfänglich denkt man an ein schweres Gebrechen, etwas die Schrumpfung der Armlänge. Es ist aber viel einfacher. Es handelt sich um die liebevoll so bezeichnete Alterssichtigkeit. Für jenen Teil der Menschheit, der zuvor nicht kurzsichtig war, lässt sich das durch Verwendung einer hübschen Lesebrille, die man naturgemäß zum Lesen verwendet, leicht lösen. Wenn man aber schon permanent eine Brille für Kurzsichtige getragen hat und jetzt auch eine zum Lesen braucht wird es kompliziert.

Sicher haben Sie schon Menschen gesehen, die eine Brille an einer Leine um den Hals tragen, während sie die zweite nützen. Man outet seine Behinderung auch auffallend, indem man beim Lesen über die Brille schaut und dabei automatisch den Gesichtsausdruck eines Lurches entwickelt.

Bleibt also als Lösung wohl nur eine Brille, die beides kann, dir also Bilder aus nah und fern scharf ins Hirn zu transportieren. Vor einigen Jahrzehnten erkannte man eine solche Brille daran, dass sie im unteren Teil so aussah, als hätte jemand zu genau eine Schleifmaschine betrachtet.

Inzwischen heißen die Dinger aber Gleitsichtbrille und sind optisch weniger Heilbehelf als modisches Accessoire. Ja, ich bin Lukas, ich habe eine Gleitsichtbrille. Seit gestern. Die Angst davor, man müsse dann die Augen wild nach oben und unten bewegen, war unbegründet. Und bestimmt gibt es auch supercoole Treppenlifte.

Ja ja, jetzt ist schon wieder Freitag. Wie doch die Zeit vergeht. Und haben Sie schon den neuen IKEA-Katalog?

(aus Salzburger Volkszeitung, 30.8.2013)